Mach mal kurz die Augen zu und stell dir vor, du zeichnest mit einem Stift einen Kreis auf ein Blatt Papier.
Was hast du gesehen? Wahrscheinlich einen Kreis. Warum? Weil die Kontur die Form von ihrem Hintergrund löst. Die Form wird sichtbar, weil du sie definiert hast. Durch Definitionen begrenzen wir Inhalte. Das ist lustig, weil das lateinische Wort für Definition finis übersetzt Grenze bedeutet. Ziehen wir eine Grenze, beschreiben wir dadurch, was etwas "ist" und was etwas "nicht ist". Grenzen schränken den Raum der Möglichkeiten von Dingen ein - begrenzen, was diese "sein können".
Das Projekt »Übergrenzen« versucht das komplexe System Grenze zu begreifen, zu ordnen und durchschaubar zu machen. Einen Überblick zu geben, über unterschiedlicher Grenzformen – auf ökologischer und ökonomischer, kultureller, geografischer und politischer, gesellschaftlicher und individueller Ebene.
Um die Vielseitigkeit und Diversität des Grenzbegriffs abzubilden, fokussierte ich mich auf eine rein textliche Ebene. Das ermöglichte mir eine sehr intensive Auseinandersetzung mit der Grenzthematik, da der Schwerpunkt primär auf dem Schreiben, also der inhaltlichen Untersuchung und dem Sammeln zahlreicher Grenzphänomene (und zumindest zu Beginn des Projektes weniger auf der Gestaltung) lag.
Das Ergebnis ist eine Art Glossar, eine alphabetische Zusammenstellung, eine Textsammlung, ein Index, der das jeweilige Thema darstellt und dessen Grenzphänomene in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext betrachtet und untersucht. Die Texte sind eine bunte, fragmentarische Mischung aus Zitaten, Vergleichen und recherchierten Inhalten. Gleichzeitig bilden sie meine Gedanken, Ideen und Fragestellungen ab – sind subjektiv und unter Umständen nicht komplett.
Innerhalb eines Artikels werden wiederum andere Begriffe verlinkt, die in meinen Augen ebenfalls einen Eintrag wert waren. So vergrößerte sich meine Sammlung stetig, die Artikel multiplizierten sich und das Netzwerk wuchs und wuchs und wuchs und wuchs ...
Irgendwann war es dann an der Zeit, mir und meinen Grenzphänomenen eine Grenze zu setzen – quasi fertig zu sammeln.
Im Fokus steht nicht die wissenschaftliche Ausarbeitung, sondern die Betrachtung vielzähliger Grenzformen in allen Lebensbereichen. Vielleicht gilt hier ausnahmsweise mal die Devise: Quantität statt Qualität. Womit ich meiner Arbeit auf keinen Fall den Mehrwert oder die Qualität absprechen möchte. Vielmehr möchte ich damit aufzeigen, dass uns Grenzen permanent und überall begegnen und umgeben. Die meisten sind so selbstverständlich mit unserem Dasein verwoben, dass wir sie gar nicht mehr (bewusst) als solche erkennen. Gleichzeitig sind sie die Basis unseres Bewusstseins, eines geordneten Lebens, sicherer Systeme, neuer Ideen und vor allem unserer Erkenntnis.
Das Ziel meiner Arbeit ist eine veränderte Aufmerksamkeit für und ein neuer Blick auf Grenzphänomene. Wo sind Grenzen? Was passiert, wenn wir in Kontakt mit ihnen treten? Welchen Herausforderungen müssen wir uns stellen? Was ist eigentlich auf der anderen Seite? Welche Grenzen beschränken uns? Was passiert, wenn wir sie überwinden? Wie können wir sie überwinden? Wollen wir das überhaupt?
Blätter mal rein.
Am Ende hatte ich dann doch noch Lust auf was Digitales: Die analogen Inhalte des Buches sollten in eine intelligente digitale Form transferiert werden. Dabei stehen nicht die Texte, sondern die Beziehungen der unterschiedlichen Thematiken im Fokus. Die Plattform soll einen Mehrwert bieten und das gedruckte Buch klug und substantiiert ergänzen.
Digitalität bietet viel Raum für unterschiedliche Darstellungsformen, für Abwechslung und neue Möglichkeiten. Wenn alles gleich aussieht, sich im Vorfeld überhaupt keine Gedanken dazu gemacht werden, welche Möglichkeiten es gibt und welche Methoden und Bausteine sinnvoll sind und welche eben nicht, wenn keine Logik dahinter steckt, dann sollte man es besser lassen. Das wollte ich nur mal gesagt haben.
Selten, vielleicht auch nie, habe ich mich so lange und intensiv mit einem Thema auseinandergesetzt. »Übergrenzen« war eine spannende Reise durch eigene Erfahrungen, neue Perspektiven, zahlreiche Beobachtungen und das Ausloten der eigenen Grenzen. Ja, man könnte sagen das Projekt hat mich an meine eigenen Grenzen gebracht. Warum? Bestimmt auch weil dieses Projekt meine Masterarbeit war und man am Ende ja irgendwie doch noch mal alles rauszuholen, die eigenen Grenzen ausloten und sie überwinden möchte.
Insgesamt umfasst das Buch »Übergrenzen« 136 Begriffe. Zu jedem Begriff gibt es eine Art stichpunktartige Sammlung bestehend aus Zitaten, auf Quellen basierenden Vergleichen, meinen eigenen Gedanken, Überlegungen und Ideen. Fragestellungen regen die Leser*innen an sich mit dem Thema intensiver zu beschäftigen und über mögliche Antworten nachzudenken.
Der fragmentarische Ansatz spiegelt die Vielseitigkeit der Thematik wider. Er erinnert an den Aufbau eines klassischen Lexikons, das unterschiedliche Bedeutungsvarianten eines Begriffes beschreibt. Durch den Aufzählungscharakter wird außerdem die Diversität der Quellen und Themenbereiche visualisiert. Die aufzählende Darstellung erlaubt auf allen Ebenen verschiedene Inhalte zu mischen, zu kombinieren, hintereinander anzuordnen und ihnen dennoch Raum zu geben.
Neben der inhaltlich textlichen Ausarbeitung eines Themas werden auch die Beziehungen der Themen untereinander untersucht. Die Begriffe sind multidimensional miteinander verknüpft, beeinflussen sich, koexistieren, sind abhängig voneinander. Die in den Artikeln hervorgehobenen Querverweise sollen dieses Netzwerk visualisieren.
Um nicht nur die Beziehungen der Inhalte zueinander, sondern auch die Beziehungsqualitäten darzustellen, entwickelte ich ein System, sieben Linktypen visuell zu unterscheiden. Ein farbiger Punkt vor einen Begriff zeigt an, dass es zu diesem einen eigenen Artikel gibt. Die farbliche Codierung ergänzt den Link durch die jeweilge Qualität der Beziehung.
Verschiedene Themen, Grenzen, Grenzphänomene und ihre Zusammenhänge können entdeckt und erkundet werden. Dabei kann strukturiert, von vorne nach hinten, von rechts nach links, vorgegangen werden. Oder aber man fängt irgendwo an und macht irgendwoanders weiter. Man lässt sich treiben, taucht ein und folgt den Verbindungslinien des analogen Netzwerkes.
Die digitale Plattform soll als Ergänzung des analogen Print-Pakets betrachtet werden – als zweite Ebene, die nicht ausschließlich eine Kopie des analogen Produkts darstellt. Sie soll einen Mehrwert bieten und das gedruckte Buch klug und substantiiert ergänzen.
Die Plattform bildet weniger die vollständigen Artikel, sondern vielmehr kurze Auszüge, die Beziehungen und ihre Qualitäten (die Art der Beziehung) ab. Die textlichen Inhalte sollen auf sinnvolle Art und Weise ins Digitale transferiert werden.
Der Fokus liegt auf der Beschäftigung und spielerischen Auseinandersetzung mit und dem Entdecken von unterschiedlichen Grenzthematiken.
Masterthesis Integriertes Design
HfK Bremen, Studio System + Interaktion, 2022
Betreuung
Prof. Detlef Rahe
Prof. Tanja Diezmann
Quellen
1 Vgl. brandeins. Konrad Paul Liessmann im Interview mit Oliver Link: Ohne Grenzen könnten wir nicht leben, 2013. Link, 08.02.2022.
Mach mal kurz die Augen zu und stell dir vor, du zeichnest mit einem Stift einen Kreis auf ein Blatt Papier.
Was hast du gesehen? Wahrscheinlich einen Kreis. Warum? Weil die Kontur die Form von ihrem Hintergrund löst. Die Form wird sichtbar, weil du sie definiert hast. Durch Definitionen begrenzen wir Inhalte. Das ist lustig, weil das lateinische Wort für Definition finis übersetzt Grenze bedeutet. Ziehen wir eine Grenze, beschreiben wir dadurch, was etwas "ist" und was etwas "nicht ist". Grenzen schränken den Raum der Möglichkeiten von Dingen ein - begrenzen, was diese "sein können".
Das Projekt »Übergrenzen« versucht das komplexe System Grenze zu begreifen, zu ordnen und durchschaubar zu machen. Einen Überblick zu geben, über unterschiedlicher Grenzformen – auf ökologischer und ökonomischer, kultureller, geografischer und politischer, gesellschaftlicher und individueller Ebene.
Um die Vielseitigkeit und Diversität des Grenzbegriffs abzubilden, fokussierte ich mich auf eine rein textliche Ebene. Das ermöglichte mir eine sehr intensive Auseinandersetzung mit der Grenzthematik, da der Schwerpunkt primär auf dem Schreiben, also der inhaltlichen Untersuchung und dem Sammeln zahlreicher Grenzphänomene (und zumindest zu Beginn des Projektes weniger auf der Gestaltung) lag.
Das Ergebnis ist eine Art Glossar, eine alphabetische Zusammenstellung, eine Textsammlung, ein Index, der das jeweilige Thema darstellt und dessen Grenzphänomene in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext betrachtet und untersucht. Die Texte sind eine bunte, fragmentarische Mischung aus Zitaten, Vergleichen und recherchierten Inhalten. Gleichzeitig bilden sie meine Gedanken, Ideen und Fragestellungen ab – sind subjektiv und unter Umständen nicht komplett.
Innerhalb eines Artikels werden wiederum andere Begriffe verlinkt, die in meinen Augen ebenfalls einen Eintrag wert waren. So vergrößerte sich meine Sammlung stetig, die Artikel multiplizierten sich und das Netzwerk wuchs und wuchs und wuchs und wuchs ...
Irgendwann war es dann an der Zeit, mir und meinen Grenzphänomenen eine Grenze zu setzen – quasi fertig zu sammeln.
Im Fokus steht nicht die wissenschaftliche Ausarbeitung, sondern die Betrachtung vielzähliger Grenzformen in allen Lebensbereichen. Vielleicht gilt hier ausnahmsweise mal die Devise: Quantität statt Qualität. Womit ich meiner Arbeit auf keinen Fall den Mehrwert oder die Qualität absprechen möchte. Vielmehr möchte ich damit aufzeigen, dass uns Grenzen permanent und überall begegnen und umgeben. Die meisten sind so selbstverständlich mit unserem Dasein verwoben, dass wir sie gar nicht mehr (bewusst) als solche erkennen. Gleichzeitig sind sie die Basis unseres Bewusstseins, eines geordneten Lebens, sicherer Systeme, neuer Ideen und vor allem unserer Erkenntnis.
Das Ziel meiner Arbeit ist eine veränderte Aufmerksamkeit für und ein neuer Blick auf Grenzphänomene. Wo sind Grenzen? Was passiert, wenn wir in Kontakt mit ihnen treten? Welchen Herausforderungen müssen wir uns stellen? Was ist eigentlich auf der anderen Seite? Welche Grenzen beschränken uns? Was passiert, wenn wir sie überwinden? Wie können wir sie überwinden? Wollen wir das überhaupt?
Blätter mal rein.
Am Ende hatte ich dann doch noch Lust auf was Digitales: Die analogen Inhalte des Buches sollten in eine intelligente digitale Form transferiert werden. Dabei stehen nicht die Texte, sondern die Beziehungen der unterschiedlichen Thematiken im Fokus. Die Plattform soll einen Mehrwert bieten und das gedruckte Buch klug und substantiiert ergänzen.
Digitalität bietet viel Raum für unterschiedliche Darstellungsformen, für Abwechslung und neue Möglichkeiten. Wenn alles gleich aussieht, sich im Vorfeld überhaupt keine Gedanken dazu gemacht werden, welche Möglichkeiten es gibt und welche Methoden und Bausteine sinnvoll sind und welche eben nicht, wenn keine Logik dahinter steckt, dann sollte man es besser lassen. Das wollte ich nur mal gesagt haben.
Selten, vielleicht auch nie, habe ich mich so lange und intensiv mit einem Thema auseinandergesetzt. »Übergrenzen« war eine spannende Reise durch eigene Erfahrungen, neue Perspektiven, zahlreiche Beobachtungen und das Ausloten der eigenen Grenzen. Ja, man könnte sagen das Projekt hat mich an meine eigenen Grenzen gebracht. Warum? Bestimmt auch weil dieses Projekt meine Masterarbeit war und man am Ende ja irgendwie doch noch mal alles rauszuholen, die eigenen Grenzen ausloten und sie überwinden möchte.
Insgesamt umfasst das Buch »Übergrenzen« 136 Begriffe. Zu jedem Begriff gibt es eine Art stichpunktartige Sammlung bestehend aus Zitaten, auf Quellen basierenden Vergleichen, meinen eigenen Gedanken, Überlegungen und Ideen. Fragestellungen regen die Leser*innen an sich mit dem Thema intensiver zu beschäftigen und über mögliche Antworten nachzudenken.
Der fragmentarische Ansatz spiegelt die Vielseitigkeit der Thematik wider. Er erinnert an den Aufbau eines klassischen Lexikons, das unterschiedliche Bedeutungsvarianten eines Begriffes beschreibt. Durch den Aufzählungscharakter wird außerdem die Diversität der Quellen und Themenbereiche visualisiert. Die aufzählende Darstellung erlaubt auf allen Ebenen verschiedene Inhalte zu mischen, zu kombinieren, hintereinander anzuordnen und ihnen dennoch Raum zu geben.
Neben der inhaltlich textlichen Ausarbeitung eines Themas werden auch die Beziehungen der Themen untereinander untersucht. Die Begriffe sind multidimensional miteinander verknüpft, beeinflussen sich, koexistieren, sind abhängig voneinander. Die in den Artikeln hervorgehobenen Querverweise sollen dieses Netzwerk visualisieren.
Um nicht nur die Beziehungen der Inhalte zueinander, sondern auch die Beziehungsqualitäten darzustellen, entwickelte ich ein System, sieben Linktypen visuell zu unterscheiden. Ein farbiger Punkt vor einen Begriff zeigt an, dass es zu diesem einen eigenen Artikel gibt. Die farbliche Codierung ergänzt den Link durch die jeweilge Qualität der Beziehung.
Verschiedene Themen, Grenzen, Grenzphänomene und ihre Zusammenhänge können entdeckt und erkundet werden. Dabei kann strukturiert, von vorne nach hinten, von rechts nach links, vorgegangen werden. Oder aber man fängt irgendwo an und macht irgendwoanders weiter. Man lässt sich treiben, taucht ein und folgt den Verbindungslinien des analogen Netzwerkes.
Digital
Die digitale Plattform soll als Ergänzung des analogen Print-Pakets betrachtet werden – als zweite Ebene, die nicht ausschließlich eine Kopie des analogen Produkts darstellt. Sie soll einen Mehrwert bieten und das gedruckte Buch klug und substantiiert ergänzen.
Die Plattform bildet weniger die vollständigen Artikel, sondern vielmehr kurze Auszüge, die Beziehungen und ihre Qualitäten (die Art der Beziehung) ab. Die textlichen Inhalte sollen auf sinnvolle Art und Weise ins Digitale transferiert werden.
Der Fokus liegt auf der Beschäftigung und spielerischen Auseinandersetzung mit und dem Entdecken von unterschiedlichen Grenzthematiken.
Masterthesis Integriertes Design
HfK Bremen, Studio System + Interaktion, 2022
Betreuung
Prof. Detlef Rahe
Prof. Tanja Diezmann
Quellen
1 Vgl. brandeins. Konrad Paul Liessmann im Interview mit Oliver Link: Ohne Grenzen könnten wir nicht leben, 2013. Link, 08.02.2022.